Vorbild-Dokumentation: DH 98 Mosquito

Vorbild-Dokumentation: DH 98 Mosquito

England, 1944. Ein amerikanischer Mittelstreckenbomber vom Typ B-26 Marauder befindet sich auf einem einsamen Trainingsflug über der britischen Insel, als er unerwartet auf eine ebenfalls alleine fliegende, englische DH 98 Mosquito trifft. Da die zweimotorige Marauder in Pilotenkreisen als relativ schnell gilt, fordern die Amerikaner die zweiköpfige Mosquito-Besatzung zu einem spontanen Rennen heraus, was die Briten nur zu gerne annehmen.

Der Marauder Pilot schiebt seine Gashebel ganz nach vorne, worauf der unbeladene, aber stark motorisierte, amerikanische Bomber zügig Fahrt aufnimmt. Als die schnittige Marauder dann mit Höchst­geschwindigkeit über den englischen Himmel donnert, zieht die Mosquito plötzlich an ihm vorbei. Und zwar im Rückenflug und mit einem stillgelegten Triebwerk. Das ist nur eine der zahlreichen Legenden, die sich um die berühmte „Mossie“ ranken, wie sie von ihren Besatzungen beinahe liebevoll genannt wurde. Eine ganz andere Story, ist die unge­wöhnliche Entstehungsgeschichte der ursprünglich als Schnellbomber geplanten Maschine.

In den 1930er-Jahren hatte sich der britische Flugzeug­bauer Geoffrey de Havilland einen Namen als Hersteller schneller und eleganter Zivilflugzeuge gemacht. Die zweimotorige DH 88 Comet Racer und das elegante, viermotorige Passagierflugzeug DH 91 Albatross sind nur zwei Beispiele dafür. Doch als sich 1938 ein möglicher Krieg mit Deutschland abzuzeichnen begann, entstanden bei de Havilland auch erste Pläne für einen möglichen Schnellbomber. Als Basis dafür sollte zunächst der ­hauseigene Albatross Airliner dienen.

Revolutionäre Neuentwicklung
Die vorläufigen Eckdaten für den neuen de Havilland Bomber mit der Bezeichnung DH 98 waren beinahe in jeder Hinsicht revolutionär: Die Maschine sollte so schnell sein, dass sie jedem damals bekannten Jagdflugzeug entkommen würde und daher auf eine Defensivbewaffnung völlig verzichten könnte. Gleichzeitig sollte sie über eine genügend große Reichweite verfügen, um von England aus Berlin zu erreichen und – last but not least – sollte sie im Zeitalter der Ganzmetallflugzeuge wieder komplett aus Holz gebaut werden. Letzteres mag zwar auf den ersten Blick wie ein technologischer Rückschritt erscheinen, war aber in Wirklichkeit ein genialer Schachzug von de Havilland. Die Holzbau­weise barg eine ganze Reihe von Vorteilen. Zum einen konnte der Prototypenbau wesentlich schneller vorangetrieben werden, als dies bei einer Aluminiumkonstruktion möglich gewesen wäre. Zum anderen standen den Briten in ihren Kolonien damals große Mengen von Tropenholz zur Verfügung, während Flugzeug-Aluminium eher knapp war.

Die Realisierung der geforderten Eckdaten der DH 98 war bei einer Auslegung als viermotorige Maschine, wie der Albatross, jedoch nicht möglich. Vielmehr musste ein völlig neues Flugzeug mit maximal zwei Motoren und einer höchstens zweiköpfigen Besatzung entworfen werden. Als Antrieb wurde das Beste vorgesehen, was der britischen Luftfahrtindustrie damals zur Verfügung stand: der Rolls Royce Merlin. Dieser Zwölfzylinder-Hochleistungsmotor hatte sich bereits in der Spitfire außerordentlich gut bewährt und für überragende Flugleistungen gesorgt.

Durchsetzungsfähig
Beim britischen Luftfahrtministerium stieß de Havilland zunächst auf Unverständnis, als er seinen Entwurf anbot. „Ein unbewaffnetes Holzflugzeug?“ Damit hatte man doch schon im Ersten Weltkrieg schlechte Erfahrungen gemacht. Erst nach dem deutschen Überfall auf Polen im September 1939 war das britische Luftfahrtministerium wenigstens dazu bereit, de Havillands Entwurf einer näheren Betrach­tung zu unterziehen, beharrte aber zunächst hartnäckig auf dem Einsatz eines zusätzlichen Heckschützen, der Maschinengewehre zur rückwärtigen Verteidigung be­­dienen sollte.

Im Dezember 1939 erhielt de Havilland schließlich die Freigabe zum Bau seiner unbewaffneten Bomberkon­zeption. Gleichzeitig wurden eine Bombenzuladung von 1.000 Pounds – entspricht etwa 454 Kilogramm – eine Reichweite von 1.500 Meilen – rund 2.400 Kilometer – und Flugleistungen wie bei einem Jagdflugzeug gefordert. Auch der Bau einer zusätzlichen Fotoaufklärer-Version wurde bereits früh in die Planung aufgenommen. Da auch eine spätere Langstreckenjäger-Version nicht auszuschließen war, berücksichtigte de Havilland schon einmal den Platz für vier mögliche 20-Millimeter-Kanonen unter dem Cockpitboden. Die Konstruktion der DH 98, die schon bald den Beinamen Mosquito erhalten sollte, erfolgte nicht im de Havilland-Werk in Hatfield, sondern in einem abgeschiedenen Farmhaus namens Salisbury Hall auf dem Land.

Am 01. März 1940 erhielt de Havilland dann den Auftrag zum Bau der ersten 50 Mosquitos mit der Bezeichnung B.I/40 inklusive eines Prototypen. Mit dieser relativ kleinen Bestellung wollte das Luftfahrtministerium einen allzu großen Schaden vermeiden, falls die Mosquito doch kein Erfolg werden sollte. Immerhin kaufte man hier die sprichwörtliche Katze im Sack.

Jäger statt Bomber
Nur kurze Zeit später erhielt das Luftfahrministerium mit Lord Beaverbrook einen neuen Leiter, der das Mosquito-Programm unverzüglich stoppte und eine erneute ­Dis­kussion um den völlig unbewaffneten Bomber auslöste. Wieder einmal stand der Bau der Mosquito auf der Kippe.

Nach erneuten Verhandlungen wurde der ursprüngliche Auftrag über 50 Bomber auf 20 Bomber reduziert und dafür 30 Jäger bestellt. Für de Havilland brachte diese Auftragsänderung während der bereits angelaufenen Produktion erhebliche Zusatzaufwände mit sich. So mussten zum Beispiel die bereits fertiggestellten Tragflächen für den Bau der Jäger nachträglich verstärkt werden. Zudem waren 28 bereits fertige Vorderrümpfe für die Jägerversion entsprechend umzuarbeiten, wobei die vorderen Plexiglaskuppeln durch entsprechende Waffenein­bauten ersetzt wurden. Zu allem Unglück erfolgte im Herbst ein deutscher Luftangriff auf die de Havilland Werke in Hatfield. Diesem fielen nicht nur zahlreiche Mitarbeiter zum Opfer, sondern auch Dreiviertel der in Bau befindlichen Mosquitos waren völlig zerstört worden. Im Zuge des schweren Rückschlags verlegte de Havilland den Mosquito-Prototypenbau in einen kleinen Hangar nahe Salisbury Hall, der als Scheune getarnt wurde.

Am 03. November 1940 war es dann soweit: Der erste Mosquito-Prototyp mit der Werksnummer W4050 konnte auf der Straße ins Stammwerk nach Hatfield transportiert werden, wo er in einem kleinen, bombensicheren Unterstand endmontiert wurde. Nach den obligatorischen Motorenprüfläufen absolvierte dieses Muster am 25. November seinen erfolgreichen Erstflug mit Geoffrey de Havilland Junior am Steuer. Die komplette Entwicklung hatte bis zu diesem Zeitpunkt gerade mal elf Monate gedauert. Ein Zeitraum, der aus heutiger Sicht für eine Flugzeugneuentwicklung völlig unvorstellbar erscheint.

Tarnlackierung
Da die britische Luftabwehr mit der Silhouette der brandneuen Mosquito noch nicht vertraut war, lackierte man den Prototypen leuchtend gelb, damit ihn die eigenen Leute während der Er­­probung nicht versehentlich abschossen. Leistungsmäßig überzeugte die Mosquito vom ersten Augenblick an und war mit über 600 Stundenkilometer Höchstgeschwindigkeit fast zweimal schneller, als alle anderen Flugzeuge, die bis zu diesem Zeit­punkt jemals in Hatfield abgehoben waren.

Bei Abschluss der dreimonatigen Werkserprobung im Februar 1941 war die Mosquito das schnellste Kampfflugzeug weltweit und sollte es für die kommenden zweieinhalb Jahre auch bleiben. Zu den wenigen erforderlichen Änderungen während der Erprobung zählte hauptsächlich die Verlängerung der Triebwerksgondeln über die hintere Flügelkante hinaus, um unerwünschte Wirbel zu eliminieren, die bei hohen Geschwindigkeiten zum Schütteln des Hecks geführt hatten. Diese Maßnahme machte auch eine Zweiteilung der bisher einteiligen Landeklappen erforderlich.

Termiten-Traum
In der endgültigen Auslegung entstand die Beplankung, der manchmal auch spöttisch als „Termite’s Dream“ bezeichneten Mosquito, in Sandwich-Bauweise mit einer Lage Balsaholz zwischen zwei Lagen Flugzeugsperrholz. An den Stellen, wo die Spanten eingesetzt wurden, war der Balsakern durch Ringe aus Fichtenholz ersetzt worden, während einzelne Befestigungspunkte in der Beplankung mit ein­­geklebten Bakelit-Stopfen (Kunststoff-Pressteil) und zusätzlichen Sperrholzverstärkungen realisiert wurden. Das Verkleben der beiden einzelnen Rumpfhälften erfolgte mit Hilfe einer V-förmigen Nut und einem überlappenden Streifen Sperrholz an den Innenseiten. Nach dem Zusammenbau wurde der Rumpf mit Madapolam – einem ­glatten, elastischen Baumwollstoff – überzogen und lackiert.

Auch die Tragfläche entstand weitgehend aus Holz und war mit zwei durchgehenden Kastenholmen aus Sperrholz und massivem Fichten­holz ausgestattet. Die einzelnen Bauteile wurden miteinander verschraubt und zusätzlich verleimt. Diese äußerst solide, aber dennoch preiswerte Bauweise hatte allerdings auch einen gravierenden Nachteil: Beschuss-Schäden an den Holmen konnten nicht repariert werden, sondern erforderten den Austausch der kompletten Trag­fläche. Zudem ist diese Bauweise auch die Ursache dafür, dass derzeit keine einzige Mosquito mehr fliegt, denn die verleimten, hölzernen Holme können ohne Zerstörung der Tragfläche nicht auf ihre Festigkeit hin überprüft werden. Zur Montage der Tragfläche sägte man die Unterseite des Mosquito-Rumpfs entsprechend aus, um das entfernte Bodenteil hinterher wieder einzusetzen. Nach dem Einbau wurde dann auch die gesamte Tragfläche mit Baumwollstoff überzogen und lackiert. Sogar die vier hydraulisch betätigten Landeklappen links und rechts der Motor­gon­deln bestanden aus Holz, während die Querruder, wie bei allen anderen da­­ma­­ligen Flugzeugen, aus bespannten Metallrahmen bestanden.

Eine weitere Besonderheit der Mosquito war ihre Fahrwerks­konstruktion. Nicht nur, dass auf beiden Seiten identische und somit untereinander austauschbare Fahrwerksbeine montiert waren. Viel­mehr kamen diese auch ganz ohne aufwändige, hydraulische Stoß­dämpfer aus. Stattdessen verwendete man einfach Gummidämpfer.

Industrie-Spionage
Neben den verbündeten Amerikanern, die nur zu gerne Kopien sämtlicher Produktionszeichnungen kauften, um in Kanada eine Lizenzfertigung der Mosquito zu beginnen, interessierten sich nun auch die Gegner brennend für die neue Maschine. So griffen die Briten am 14. Mai 1941 einen deutschen Spion mit einem tragbaren Funkgerät in der Nähe von Salisbury Hall auf, der in der Nacht zuvor mit einem Fall­­schirm abgesetzt worden war. Einen Tag später startete an derselben Stelle der erste Mosquito Nachtjäger-Prototyp direkt von der Wiese neben der „geheimen“ Produktionsscheune.

Dieser ganz in Schwarz lackierte Nachtjäger mit der Bezeichnung F.21/40 war erstmals mit vier 20-Millimeter-Kanonen unter dem Rumpf und vier Maschinengewehren im Bug bewaffnet. Die Plexiglas-Nase der Bomberversion entfiel und ein weiterer optischer Unterschied bestand in der durchgehenden, gepanzerten Wind­schutzscheibe, anstatt der bisher zweigeteilten Scheibe. Zudem ragten aus der Rumpfspitze des ersten Mosquito-Nachtjägers die etwas seltsam anmutenden, pfeilförmigen Antennen des installierten „Arrowhead“ Radar­geräts. Diese Maschine ist übrigens auch das Vorbild des inzwischen leider nicht mehr erhältlichen Modells Mini Mosquito von Scorpio.

Feuertaufe
Mitte 1941 begann die großangelegte Serienfertigung der Mosquito in Großbritannien, Kanada und Australien und im darauffolgenden Frühjahr stand bereits eine große Anzahl von Mosquito Mk. IV Bombern bei der Royal Air Force in Dienst. Die schnellen Maschinen setzte man zunächst vor allem für Überraschungsangriffe auf ge­­gnerische Einzelziele ein, wobei die Bombardierung des Gestapo-Hauptquartiers in Oslo im September 1942 zu den ersten spektakulären Angriffen dieser Art zählte. Bei diesem überfallartigen Angriff, der von vier einzelnen Mosquitos durchgeführt wurde, ging es den Briten primär um die Vernichtung von Akten über mögliche norwegische Widerstandskämpfer. Ungefähr zur selben Zeit begannen auch die ersten britischen Tag-Angriffe mit Mosquitos auf die Reichshauptstadt Berlin. Parallel zu den britischen Bomber Squadrons waren ab Januar 1942 auch die ersten „Night Fighter Squadrons“ mit Mosquito N.F. Mk. II Nacht­jägern aufgestellt worden, die zunächst hauptsächlich über dem Ärmelkanal patrouillierten. Später wurden die „Night Fighter“ auch in Italien und Nordafrika eingesetzt. Ab Sommer 1943 wurden die ersten Mosquitos mit dem bekannten britischen „Oboe“ Radar-Navigationssystem ausgerüstet und als „Pathfinder“ bei nächtlichen Bombenangriffen eingesetzt.

Diplomat
Und noch eine interessante Aufgabe wurde ab 1943 von Mosquitos übernommen, nämlich die schnelle Beförderung von Personen, diplomatischer Post oder dringender Fracht, wie beispielsweise Kugellagern, zwischen Großbritannien und dem neutralen Schweden. Hierzu erhielten die Maschinen zivile Kennzeichen, die in großen Buchstaben auf die ganz normale grau-grüne Tarnlackierung aufgemalt wurden, während die fliegerischen Besatzungen vom britischen Luftfahrtunternehmen BOAC kamen. Die Passagiere dieser Mosquito-Airliner saßen im fensterlosen Bombenschacht, wo sie mit Lektüre, Erfrischungen und Sauerstoff versorgt wurden.

Bis Kriegsende waren beinahe 8.000 Exemplare der vielseitigen Mosquito gebaut worden, die in den letzten Kriegsjahren auch von der U.S. Army Air Force mit der Bezeichnung F-8 als Wetter- und Fotoaufklärer in Europa eingesetzt wurden.Der eingangs erwähnte und gelb lackierte Mosquito Prototyp W4050 stand immerhin noch bis 1947 bei der de Havilland Aeronautical School in Dienst und kehrte nach seiner offiziellen Ausmusterung wieder in seine „Scheune“ bei Salisbury Hall zurück. Dort steht heute neben dem bekannten de Havilland Aircraft Heritage Centre auch das Mosquito Aircraft Museum und beherbergt neben dem frisch restaurierten Prototypen auch noch zwei weitere Versionen dieses legendären Holzflugzeugs.