Vorbild-Dokumentation – OV-10-Bronco
Mit dem Beginn des Jet-Zeitalters neigte die Ära der Propellerflugzeuge bei den US-Streitkräften schnell ihrem Ende zu. Immerhin konnte jetzt ein einzelner A4-Jet – rein von der Kampfkraft her – drei Propellerkampfflugzeuge vom Typ F4U-Corsair ersetzen. Doch spätestens der Vietnam-Konflikt holte die Air Force Planer wieder auf den Boden der Tatsachen zurück, denn hier zeigte sich schnell, dass in einem lokal begrenzten Buschkrieg nicht nur Speed und Waffenzuladung zählen, sondern vor allem eine nahe und präzise Luftunterstützung der Bodentruppen erforderlich ist.
Dieser sogenannte Close Air Support (CAS) hatte sich bei den US Marines bereits im Zweiten Weltkrieg bestens bewährt und war bis zum Ende des Krieges immer weiter perfektioniert worden. Grundvoraussetzung für eine derart enge Zusammenarbeit zwischen Luft- und Bodentruppen ist jedoch ein Flugzeugtyp, der möglichst dicht bei den Fronttruppen stationiert ist und der eng genug in Bodennähe manövrieren kann, um beim Angriff sicher zwischen Freund und Feind zu unterscheiden.
Für diese Aufgabe sind moderne Kampfjets jedoch nicht nur zu groß und viel zu schnell, sondern auch zu unflexibel und zu teuer. Für CAS-Aufgaben wurde daher eines ganz neues Flugzeug benötigt, das selbst im Jet-Zeitalter möglicherweise wieder mit Propeller ausgestattet werden müsste, denn hier zählen Kurzstartfähigkeit von unbefestigten Pisten und extreme Manövrierfähigkeit viel mehr, als schiere Geschwindigkeit und hohe Waffenzuladung.
Im Grunde war ein Flugzeug gefragt, das wie eine Ju-87 im Sturzflug angreifen könnte und dabei so wendig wie eine AT-6 und so robust wie eine F4U-Corsair wäre. Ideal wären noch die freie Rundumsicht einer P-38-Lightning und ein zweiter Sitz für einen Beobachter zur Lageeinschätzung und Zielidentifizierung. Und als ob das nicht schon genug Anforderungen für ein einzelnes Flugzeug wären, wurden von Militärplanern auch noch moderne Ausstattungsmerkmale wie Schleudersitze und volle Instrumentenflugtauglichkeit bei schlechtem Wetter und bei Nacht gefordert.
Tatsächlich gelang es dem Flugzeughersteller North American Rockwell 1964, all diese geforderten Eigenschaften in ein einzelnes Flug zu packen. Das Resultat war die zweimotorige OV-10-Bronco, die am 16. Juli 1965 in Columbus, Ohio zu ihrem Erstflug startete. Als Antrieb dienen der Bronco zwei moderne, 715 PS starke Garrett Turboprop-Triebwerke mit gegenläufigen Dreiblattpropellern, deren Drehmomente sich gegenseitig aufheben. Zudem können beide Propeller in Schubumkehrstellung gebracht werden und ermöglichen hierdurch extrem kurze Landestrecken.
Auch das einziehbare Dreipunktfahrwerk ist an den besonderen Einsatzzweck der Bronco angepasst und kann nicht nur hohe Landestöße ausnehmen, sondern erlaubt mit seinem Raddurchmesser von fast 700 Millimetern auch Starts und Landungen auf rauen, unbefestigten Pisten. Sinkraten von rund 7 Metern pro Sekunde beim Aufsetzen sind überhaupt kein Problem für das robuste Bronco Fahrwerk.
Breitflügler
Die Bronco ist als Schulterdecker ausgelegt, wobei Pilot und Beobachter hintereinander in einem relativ kurzen Rumpf mit einer großen Rundumsichtkanzel sitzen. Hinter dem Cockpit befindet sich eine Mehrzweckkabine, die entweder sechs voll ausgerüstete Soldaten, fünf Fallschirmspringer, zwei liegende Verwundete oder rund 1,5 Tonnen Fracht aufnehmen kann. Der Zugang zur Kabine erfolgt durch das abgerundete hintere Rumpfende, das sich seitlich aufklappen lässt.
Das großflächige Leitwerk ist auf einem doppelten Heckausleger montiert, der unter dem durchgehenden Flügel nahtlos in die beiden Triebwerksgondeln übergeht. Diese Anordnung stellt auch bei niedrigen Fluggeschwindigkeiten eine gute Anströmung der beiden Seitenruder durch die Propeller sicher. Zudem sind links und rechts der Triebwerksgondeln großflächige Landeklappen montiert, die dem relativ kurzen, aber breiten Flügel mit seinem Naca-64-Profil zu enormem Auftrieb verhelfen.
Die Flügel beherbergen aber noch ein weiteres interessantes Konstruktionsdetail. Bei der Bronco werden die Querruder an den äußeren Flügelenden durch je vier ausfahrbare Bremsflächen (Spoiler) an den Flügeloberseiten unterstützt. Diese sorgen durch einen asymmetrischen Strömungsabriss an jeweils einem Flügel für spektakuläre Rollraten bei minimalen Steuerkräften. Im nicht betätigten Zustand verschwinden die senkrecht angeordneten Steuerflächen in vier schmalen Schlitzen innerhalb des dicken Flügelprofils.
Zum Schutz der Besatzung und der wichtigsten Systeme wurden in die Zelle der Bronco rund 140 Kilogramm an Panzerung eingearbeitet. Auch die schmale, vordere Windschutzscheibe war kugelsicher. Gleichzeitig ist das Kraftstoffsystem selbstabdichtend. Die Bewaffnung der Bronco wird an zwei seitlichen und gleichzeitig nach unten geneigten Auslegern, sogenannten Sponsons, am Rumpf aufgehängt und kann beispielsweise aus Kanonenbehältern, Raketenwerfern oder auch Bomben verschiedener Art bestehen. Zusätzlich sind in jedem Sponson zwei M60-Maschinengewehre montiert. Neben den vier Aufhängepunkten an den Sponsons sind noch zwei weitere Waffenaufhängungen an den Flügeln vorhanden und ein zentraler Aufhängepunkt in der Rumpfmitte, der für einen Zusatztank vorgesehen ist.
Trotz der völlig neuartigen Auslegung stellten sich während der Erprobung der Bronco nur geringfügige Probleme heraus, so musste beispielsweise eine zusätzliche, dreieckigen Finne vor jedem Seitenleitwerk montiert werden, um die Längsstabilität der Maschine zu erhöhen. Bereits im Frühjahr 1968 gelangten dann die ersten als OV-10A bezeichneten Broncos zur Marine Observation Squadron 5 (VMO-5) in Camp Pendleton, Kalifornien und zum 4409. Combat Control Team (4409th CCT) der US Air Force in Eglin, Florida.
Beide Teilstreitkräfte verlegten ihre Broncos bereits wenige Monate später nach Vietnam, wo sie jedoch völlig unterschiedliche Aufgaben übernehmen mussten. Während die Marines die Bronco überwiegend als Aufklärer entlang der de-militarisierten Zone zwischen Nord- und Südvietnam einsetzten, diente sie bei der Air Force primär als Forward Air Controller (FAC) zur Überwachung des Lufträume in der Region Bien Hoa.
Black Ponies
Ende 1968 wurde ein Teil der Marine Broncos ins Mekong-Delta verlegt, um dort die Flusspatrouillen der Navy und die Sondereinsätze der Navy Seals zu unterstützen. Diese Bronco Kampfeinheit war die einzige, die direkt der Navy unterstellt war und hieß offiziell Light Attack Squadron 4 (VAL-4), bezeichnete sich selbst aber als die Black Ponies. Entsprechend zeigt ihr Staffelemblem ein schwarzes Pony auf rotem Grund.
Jetzt konnte die Bronco erstmals zeigen, was wirklich in ihr steckt und bald kreuzten ständig kampfbereite Zweierrotten dieses leichten CAS-Angriffsflugzeug über dem weitläufigen Deltagebiet. Neben den eigentlichen Kampfeinsätzen flogen die Black Ponies aber auch Überwachungs- und Aufklärungseinsätze, bei denen beispielsweise Bewegungssensoren entlang des berühmt-berüchtigten Ho-Chi-Minh-Pfades abgeworfen wurden.
Die Patrouillenflüge der Black Ponies dauerten normalerweise zwischen eineinhalb und zweieinhalb Stunden, wurden aber manchmal auch mit Hilfe von Zusatztanks auf bis zu viereinhalb Stunden ausgedehnt. Wenn sie sich gerade nicht in der Luft befanden, standen die Black Pony Crews in beinahe ständiger Alarmbereitschaft und konnte bei Tag innerhalb von sechs Minuten und bei Nacht innerhalt von rund 15 Minuten in der Luft sein. Diese schnelle Reaktion war nur dank einem perfekten Crew Management möglich und spielte sich normalerweise wie folgt ab: Nach der Alarmierung kletterten die Piloten unverzüglich in die Cockpits, starteten die linken Triebwerke und führten alle erforderlichen Checks durch.
Die Beobachter waren währenddessen beim Briefing in der Einsatzzentrale, wo sie alle notwendigen Informationen erhielten und stiegen anschließend von rechts in die hinteren Cockpits, worauf die Piloten dann auch die rechten Triebwerke starteten, während die Waffenwarte von außen die Waffen scharf stellten. Besonders in der Dunkelheit war hierbei höchste Konzentration gefordert.
Die gegnerischen Vietcong bezeichneten die Bronco wenig schmeichelhaft als Pigsy Aircraft, was so viel wie Schweinepferch Flugzeug bedeutet. Der Grund dafür lag in dem nahezu quadratischen Bereich zwischen Flügel, Heckauslegern und Leitwerk der Bronco, der die gegnerischen Soldaten an die Schweinehaltung in ihren Dörfern erinnerte. Interessanterweise konnten gegnerische Schützen die Geschwindigkeit der Pigsys schlecht einschätzen, denn die Bronco war zwar wesentlich langsamer als ein Jet, aber dennoch deutlich schneller als ein Kampfhubschrauber.
Ab 1972 fielen jedoch immer mehr Broncos in Vietnam einer neuen gegnerischen Waffe zum Opfer, nämlich der schultergestützen, sowjetischen SA-7 Luftabwehrrakete. Aus diesem Grund haben die Amerikaner Broncos ab diesem Zeitpunkt mehr und mehr aus den eigentlichen Kampfhandlungen abgezogen und später fast nur noch für FAC-Zwecke eingesetzt.
Fliegende Zielscheibe
Anfang 1970 bestellte die Bundeswehr insgesamt 18 Broncos, die als unbewaffnete Zielschleppmaschinen für das Training von Flugabwehreinheiten vorgesehen waren. Diese als OV-10B bezeichneten Broncos unterschieden sich von der amerikanischen OV-10A hauptsächlich durch das Fehlen der beiden Sponsons samt Waffenaufhängungen und einem verglasten Rumpfheck.
Die Schleppziele – made in Germany – wurden in stromlinienförmigen Behältern unter dem Rumpf mitgeführt und von einem Operator bedient, der zusammen mit den entsprechenden Bedienelementen im hinteren Teil der Kabine untergebracht war. Gleichzeitig entfiel das zweite Cockpit für den Beobachter komplett.
Eine interessante Antriebsvariante der Bundeswehr Broncos bestand in einem dritten Triebwerk das zentral auf dem Flügel montiert war. Dieses zusätzliche Strahltriebwerk mit seinem Schub von rund 1300 Kilopond erhöhte die Höchstgeschwindigkeit der Bronco um gut 150 Stundenkilometer, verdreifachte die Steigleistung und halbierte die Startstrecke. Allerdings war der Kraftstoffverbrauch des Schubtriebwerks selbst für damalige Verhältnisse inakzeptabel hoch, so dass die zusätzliche Antriebshilfe der Bronco wieder aufgegeben wurde.
Obwohl sich die Bronco bei der Bundeswehr als Zielschlepper ausgezeichnet bewährte, mussten die Maschinen Anfang der 90er Jahre aufgrund steigender Betriebskosten und Mangel an Ersatzteile ausgemustert werden.
Desert Storm
Anfang der 90er Jahre neigte sich die Karriere der Bronco auch bei den US-Streitkräften ihrem Ende zu. Dort erfolgte ihr letzter Kampfeinsatz im Januar 1991 während der Operation Desert Storm, wo sie zur Aufklärung, Artilleriebeobachtung und noch einmal in der klassischen FAC-Rolle eingesetzt wurde. Neben der bewährten OV-10A standen den Marines dabei auch die verbesserte OV-10D mit stärkeren Triebwerken, Nachtsichtgerät, Systemen für elektronische Gegenmaßnahmen (ECM) und einer 20-mm-Gatling-Kanone zur Verfügung.
Am zweiten Tag der amerikanischen Offensive im Irak wurde dann eine OV-10A von einer gegnerischen Luftabwehrrakete getroffen und stürzte ab. Die Besatzung konnte sich zwar mit ihren Schleudersitzen retten, geriet aber in irakische Gefangenschaft. Dieser Zwischenfall hatte erneut gezeigt, dass die Bronco durch Raketenbeschuss sehr verwundbar ist und aus diesem Grund auf einem modernen Gefechtsfeld nicht mehr bestehen kann.
Ab 1991 wurden daher auch die Broncos der US-Streitkräfte endgültig ausgemustert. Einige Exemplare wurden anschließend von der kalifornischen Feuerwehr übernommen, wo sie noch heute fliegen und genau das tun, was sie immer getan haben, nämlich den Einsatz von Luft- und Bodentruppen koordinieren. Doch jetzt nur noch bei der Bekämpfung von Waldbränden.