Vorbild-Dokumentation – Boeing 314 Clipper

Vorbild-Dokumentation – Boeing 314 Clipper

Die 1930er-Jahre werden gerne auch als „Goldenes Zeitalter der ­Fliegerei“ bezeichnet. Es ist die Ära der ­Propellerflugzeuge, der ­Sternmotoren und der großen Abenteuer. So startet am 13. August 1935 die ­deutsche Sportfliegerin Elly Beinhorn mit einer Bf 108 Taifun zu ihrem spektakulären, 3.470 Kilometer langen Flug über zwei ­Kontinente. Drei Monate später beginnt Pan American Airways (Pan Am) dann den ersten ­interkontinentalen Linienverkehr mit Großraumflugbooten.

In den USA war Franklin Delano Roosevelt gerade zum Präsidenten gewählt worden und dank Hollywood wird das Empire State Building untrennbar mit dem Film­klassiker King Kong verbunden. Kaum vorstellbar, dass der erste bemannte Motorflug erst 32 Jahre zurückliegt, als die Pan Am im November 1935 den ersten planmäßigen Interkontinentalflug von San Francisco nach Manila durchführt. Für diesen 13.000 Kilometer langen Flug benötigte das zunächst eingesetzte Flugboot vom Typ Martin M-130 insgesamt sechs Tage und vier Zwischenlandungen in Hawaii, Midway, Wake und Guam.

Zuvor war in San Francisco ein mit Fertighäusern, Peil­sen­dern, Motorbarken, Traktoren, Stromgeneratoren, Kühl­schränken und fast einer Million Liter Flugbenzin beladener Frachter ausgelaufen, um auf den angeflogenen Pazifik­inseln die benötigte Infrastruktur zu schaffen. Zu den wichtigsten Hilfsmitteln zählte dabei unter anderem auch eine Tonne Dynamit, die zur Freisprengung der Lagunen vor Honolulu für den Flugbootbetrieb benötigt wurde.

Kapitäne der Lüfte
Pan Ams Pazifikflugroute wurde schnell zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor für die USA und nach dem Vorbild der berühmten Clipper-Schiffe, die schon im 19. Jahr­hun­dert den Welthandel aufrechterhielten, bezeichnete der damalige Pan Am-Präsident Juan Trippe seine Flugboote als Clipper und ließ sich diese Bezeichnung als Marken­ begriff schützen. Um das maritime Flair noch zu verstärken, trugen die Clipper-Besatzungen marineblaue Uni­for­men und wurden erstmals in der Fliegerei als „Kapitän“, „Erster Offizier“ oder „Steward“ bezeichnet.

Auch die Ausbildung der Flugbootbesatzungen war eng an die von Marineoffizieren angelehnt und beinhaltete beispielsweise sowohl die klassische Seefahrernavigation mit dem Sextanten als auch die moderne Funknavigation. Die damaligen Pan Am-Piloten zählten zu den erfahrensten und bestausgebildeten Piloten jener Tage und setzten Maßstäbe für alle späteren Airlines. Sie waren es auch, die als erste Piloten weltweit mehr als 10.000 Flugstunden in ihren Flugbüchern stehen hatten.

Mit zunehmendem Passagier- und Transportaufkommen erkannten die Pan Am-Strategen rasch, dass auf interkontinentalen Langstreckenflügen ein deutlich größeres Flu­g­boot als die M-130 benötigt wird, um Passagierkomfort und Wirtschaftlichkeit zu vereinbaren. Aus diesem Grund startete Pan Am 1936 eine entsprechende Ausschreibung, auf die sich schließlich die Firmen Martin, Sikorsky, Consoli­dated und Boeing mit neuen, größeren Flugboot-Entwürfen bewarben. Dabei bot Consolidated beispielsweise eine viermotorige Version der PBY Catalina an, die jedoch von Pan Am – wie übrigens auch die Entwürfe von Sikorsky und Martin – als zu klein betrachtet wurden.

Boeing ging schließlich mit dem „Model 314“ als Gewin­ner aus der Pan Am-Ausschreibung hervor. Die geplante Boeing 314 war doppelt so groß, wie die damals von Pan Am in der Karibik eingesetzten Sikorsky S-42 Flugboote und rund 15 Tonnen schwerer als die ebenfalls bei Pan Am in Dienst stehende Martin M-130 „China Clipper“.

Begehbare Tragfläche
Beim Bau der 314 konnte Boeing auf die bereits vorhandenen Tragflächen des experimentellen Bomberprojekts XB-15 zurückgreifen, von dem ein Prototyp existierte. Als Triebwerke kamen vier leistungsstarke Wright „Double Cyclone“-Sternmotoren mit jeweils 1.600 PS zum Einsatz. Üblich waren zu jener Zeit eher Triebwerke mit rund 1.100 PS, aber dafür waren die neuen Triebwerke auch recht anspruchsvoll in der Kraftstoffqualität und benötigten Flugbenzin mit mindestens 100 Oktan.

Auch die mächtigen Hamilton-Standard-Dreiblattpropeller mit ihrem Durchmesser von 4,27 Meter waren eine Neuentwicklung. Ihre automatische Blattverstellung erlaubte es erstmals, die Blätter bei einem Triebwerks­schaden im Flug in „Segelstellung“ zu bringen, wobei der Propeller zum Stillstand kam, ohne dabei den Luftwider­stand wesentlich zu erhöhen.

Diese Einrichtung wurde zum Standard bei nahezu allen nachfolgenden Verstellpropellern und ermöglichte im Fall der Boeing 314 sogar Triebwerksreparaturen während des Flugs. Hierzu waren in den relativ dicken Trag­flächen­profilen spezielle Verbindungsschächte installiert, durch die der Flugingenieur – in leicht gebückter Haltung – im Flug die vier Triebwerke erreichen konnte. Solche Repara­turen waren im späteren Linienverkehr mit dem Boeing Clipper übrigens gar nicht mal so selten, sondern kamen beinahe auf jedem zehnten Flug vor.

Fliegendes Hotel
Auch beim Bau der Zelle ging Boeing neue Wege. Das Flugdeck für die Besatzung lag bei der Boeing 314, wie später auch bei der Boeing 747, auf einer zweiten Ebene und war über eine Wendeltreppe von der Hauptkabine aus erreichbar. Der Rumpf selber wies die damals übliche Bootsform auf, doch statt den weit verbreiteten Stütz­schwimmern unter den Flügeln, verwendete Boeing die von Dornier entwickelten und patentierten Stabili­sierungs­­schwimmer, die seitlich am Rumpf montiert sind und im Englischen sehr treffend als „Sea Wings“ bezeichnet werden. Sie dienten bei der Boeing 314 gleichzeitig als Kraftstoffbehälter und konnten gemeinsam mit den Flügeltanks bis zu 16.000 Liter Flugbenzin aufnehmen, woraus eine Reichweite von mehr als 8.000 Kilometer resultierte.

Mit 74 Passagiersitzen in fünf klimatisierten, einzelnen Abteilen oder 40 bequemen Liegen bei Nachtflügen, sowie einer privaten „Honeymoon Suite“ im Heck, wurde die Boeing 314 von der Presse bald als fliegendes Hotel bezeichnet. Tatsächlich war sie mit ihren 40 Tonnen Abflugmasse das mit Abstand größte Passagierflugzeug ihrer Zeit.

Während des Flugs konnten die Fluggäste durch groß­zügig dimensionierte Fenster auf die weite See hinaus­blicken und den Komfort eines Speisesaals für 14 Perso­nen genießen, wo Vier-Sterne-Köche wahre Gourmet-Menüs servierten. Auch eine Bar war vorhanden. Damit setzte die Boeing 314 neue Komfortmaßstäbe im Langstrecken-Flugverkehr.

Kurvenunwillig
Die erste Boeing 314 ging im Mai 1938 in die See-Erpro­bung und startete am 07. Juni mit Boeing-Testpilot Eddie Allen am Steuer zu ihrem Jungfernflug. Leider ging dieser Erstflug nicht ganz so glatt wie erhofft. Nach einer weiten 180-Grad-Kurve setzte Testpilot Allen das Flugboot schließ­­­lich wieder aufs Wasser. „Wie hat’s geklappt?“ wollte Boeing Chefkonstrukteur Wellwood Beall nach dem Flug wissen. „Sie will nicht kurven”, erwiderte Allen daraufhin, „ein einzelnes Seitenruder ist zu wenig!” Der erfahrene Testpilot hatte die Kurve, die ihn schließlich wieder zum Landeplatz zurückgeführt hatte, hauptsächlich mit unterschiedlichem Gas für die rechten und linken Motoren durchgeführt. Um Abhilfe zu schaffen, montierte Boeing daraufhin ein Doppelseitenleitwerk, das schließlich sogar zum Dreifach-Seitenleitwerk erweitert werden musste, bis sich endlich die gewünschte Steuerwirkung einstellte.

Ab März 1939 nahm die Boeing 314 dann den Linien­ver­kehr zwischen San Francisco und Hong Kong auf und bereits drei Monate später folgte die Atlantikroute von New York nach Europa. Letztere bewältigte die Boeing 314 innerhalb eines Tages mit nur einem einzigen Tankstopp auf den Azoren, wobei ein Erste-Klasse-Ticket von New York nach Marseille damals 375,– US-Dollar kostete.

Air Force One
Ab März 1941 folgte die Version 314A mit Platz für bis zu 77 Passagiere, stärkeren Triebwerken und einer um nochmals 4.500 Liter erhöhten Kraftstoffkapazität. Allerdings erhielt Pan Am diesmal nur drei der ursprünglich sechs bestellten Exemplare, denn der Zweite Weltkrieg war in Europa bereits in vollem Gange und drei B-314A mussten auf Anweisung der US-Regierung an die britische BOAC abgegeben werden. Dort wurden sie zur Beförderung von hochrangigen Regierungsangehörigen und dringenden Post- oder Frachtsendungen eingesetzt.

Da nur wenige Flugzeuge über die Zuladung und Reich­weite der Boeing 314 verfügten, nutze auch der damalige amerikanische Präsident Roosevelt die Pan Am Clipper für politische Treffen mit dem britischen Premier Winston Churchill jenseits des Atlantiks. Die Boeing 314 kann somit auch den Titel „Erstes amerikanisches Präsidenten­flugzeug“ für sich beanspruchen.

Rund um die Welt
Als die NC18602 „California Clipper“ am Morgen des 01. Dezember 1941 in San Francisco mit planmäßigem Ziel Neuseeland startete, ahnte Kapitän Robert Ford noch nicht, dass dies seine vielleicht aufregendste, mit Sicher­heit aber längste Reise mit der Boeing 314 werden sollte. Die ersten Tage der Flugreise verliefen völlig normal. Doch am 07. Dezember geriet die California Clipper beinahe mitten in den japanischen Angriff auf Pearl Harbour, der die USA zum Eintritt in den Zweiten Weltkrieg veranlasste.

Mit dieser neuen Situation konfrontiert, erhielt Clipper-Kapitän Ford die Anweisung, seine Flugroute zu ändern und den Kriegshandlungen im Pazifik weiträumig aus­zuweichen. Das strategisch wertvolle Flugboot durfte ­keinesfalls in japanische Hände fallen. Der einzige sichere Rück­weg in die USA führte nun um die andere Seite des Globus herum und bedeutete für die California Clipper eine Rück­reise von beinahe 50.000 Kilometern – wobei sich weder geeignete Karten an Bord befanden, noch die Kraftstoffver­sorgung gesichert war. Zudem wurde absolute Funkstille befohlen.

Die Reise führte die California Clipper über den Fernen Osten in den Mittleren Osten und von dort schließlich nach Afrika, wo Kapitän Ford bei Kinshasa auf dem Kongo-Fluss zum Auftanken landete. Der Start vom Kongo mit dem randvoll aufgetankten Boeing-Flugboot war nicht ganz ohne, denn Ford hatte keine andere Wahl, als flussabwärts mit Rückenwind zu starten. Dabei gelang es ihm erst im allerletzten Moment, die schwere California Clipper vor einer Flussbiegung mit tödlichen Felsen und Stromschnellen in die Luft zu bringen.

Doch hier wartete eine weitere unangenehme Über­rasch­ung. In der Hitze Afrikas hatten sich die Tragflächen so stark verwunden, dass die Querruderanlenkungen verklemmt waren. Obwohl der Flugingenieur unverzüglich in den Flügeltunnel kletterte, konnte er dort nichts ausrichten. Erst als die höheren Luftschichten die Tragflächen abgekühlt hatten, konnten die Querruder wieder betätigt werden. Der Rest der Rückreise war dann eigentlich nur noch ein „Katzensprung“. Nach einem knapp 6.000 Kilometer langen Flug über den Südatlantik nach Brasilien, ging es dann über die Karibik beinahe direkt heim nach New York, wo die California Clipper rund sechs Wochen nach Beginn ihrer unfreiwilligen Weltreise nahezu unversehrt landete.

Das Ende einer Ära
Als die Pan Am 1946 ihren letzten Boeing Clipper außer Dienst stellte, hatten die neun Maschinen dieses Typs mehr als 5.000 transozeanische Flüge durchgeführt und dabei über 20 Millionen Kilometer zurückgelegt. Die Nachfolge der legendären Langstrecken­flugboote wurde von den schnelleren und vielseitigeren Douglas DC-4 und Lockheed Constellation angetreten.

Leider blieb kein einziges Exemplar des imposanten Boeing Clippers erhalten. Dafür steht im Foynes Flying Boat Museum in Limerick, Irland, eine sorgfältig aufgebaute Replika in Originalgröße – Internet: www.flyingboatmuseum.com. In diesem Zusammenhang besten Dank an das freundliche Team vom Flying Boat Museum sowie an die beiden Luft­fahrtexperten Ron Olsen und William T. Larkins, die mit ihren wertvollen Hinweisen und historischen Fotos wesentlich zum Gelingen der vorliegenden Dokumentation beigetragen haben.